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Halloween, Teil 7 (Ende)

13 Jan

voriger Teil: hier


 

„Tiger?“, erwidert der Polizist. „Hat der Tierpark nicht Tiger?“ Der Notarzt nickt. „Einen oder zwei.“ Abrupt greift der Polizist zum Handy. „Dann sollten wir überprüfen, ob das immer noch so ist.“

„Das gilt auch für den Zirkus Krone!“, ruft ihm der Notarzt noch hinterher. Dann wendet er sich an seinen Kollegen.

„Glauben Sie das wirklich?“ Der seufzt. Dann sieht er auf, denn es ist ein weiterer Wagen angekommen: ein Leichenwagen. Zwei Bestatter steigen aus und holen eine Bahre aus dem Kofferraum. Der Gerichtsmediziner führt seinen Kollegen am Arm zwei Schritte beiseite.

„Keine Ahnung. Das – oder ein tollwütiger Fuchs.“ Er blickt hinter sich. „Ein verdammt großer, tollwütiger Fuchs.“

Als die beiden beiseite gehen, hat Edward Zeit, sich den Toten anzuschauen – es ist selbst für ihn kein schöner Anblick. Der Mann dürfte mittleren Alters gewesen sein, gekleidet in eine altmodische  Jogginghose und -Jacke. Die Ballonseide der Jacke ist so zerrissen, dass einzelne Fetzen davon überall auf dem Boden herumliegen. Der Geruch nach menschlichem Blut umgibt den Leichnam wie eine dichte Wolke. Seine Arme liegen in einem eigenartigen Winkel neben seinem Körper, als wären sie ihm gebrochen worden, als er versuchte, den Angreifer abzuwehren. Der Hals des Opfers sieht am schlimmsten aus: Als wären ganze Stücke herausgebissen – und auf der rechten Seite kann er durch die weggerissenen Muskeln die freiliegende Schlagader sehen, aus deren tiefem Riss allerdings kein Blut sickert.

Als die beiden Bestatter ankommen, zieht er sich zurück. Da es hier nichts mehr zu beobachten gibt, richtet er seine Aufmerksamkeit auf den Sanka, auf dessen Stufen, in eine Decke eingehüllt, eine Frau sitzt. Ihr Gesicht ist vollkommen verquollen, ihre Haare aufgelöst. Auf ihrem Schoß sitzt ein kleiner Hund, den sie streichelt, während ein Polizist mit ihr spricht. Edward nähert sich behutsam dem Fahrzeug bis auf Hörweite.

„Nein, wie schon gesagt“, hört er die zittrige Stimme der Frau, „es ging so schnell … es sprang ihn an, und er schrie so fürchterlich, so fürchterlich … und ich schrie auch, und dann … ich weiß auch nicht, ich dachte, es würde mich angreifen“, sie schluchzt auf, „aber dann … dann …“ Sie zögert und scheint zu versuchen, sich zu erinnern, „es lief weg … wie gejagt.“

„Lief es vor Ihnen weg?“, fragt der Polizist, und er wirkt, als habe er die Frage schon dreimal gestellt, „oder vor etwas anderem?“

„Ich weiß es nicht … in einem Augenblick wandte es sich zu mir um, und dann … dann rannte es weg.“

„Im gleichen Augenblick?“ Sie schüttelt den Kopf.

„Nein, es war auf halbem Weg zu mir. Es … es …“, sie zögert, „es wollte mich töten …“

„Und was hat es dann zur Flucht bewegt?“, hakt der Beamte nach. Die Frau schlägt die Hände vors Gesicht.

„Ich weiß es nicht!“ schluchzt sie, „ich kann mich einfach nicht mehr erinnern!“ Sie beginnt, hemmungslos zu weinen. Der Beamte reicht ihr ein Taschentuch und berührt sie beruhigend an der Schulter.

„Sie waren sehr tapfer. Sie haben mir schon sehr geholfen. Ruhen Sie sich jetzt aus.“ Er winkt einem der Sanitäter, der sich daraufhin der Frau annimmt.

Hinter Edward wird plötzlich Gebell laut. Er dreht sich um. Drei Polizisten mit Schäferhunden nähern sich der Absperrung. Und der Hund, der ihm am nächsten ist, schlägt so abrupt an, dass Edward beschließt, es sei nun ein guter Zeitpunkt, sich zurückzuziehen.

Als er wieder den Bereich der Ringbrücke betritt, bleibt er stehen und ruft nach seinem Vogel. Es ist spät geworden, und er spürt die Nähe des Tages. Da er einen Zugang in den Grundpfeilern der Brücke kennt, macht er sich darum keine Sorgen. Er wird rechtzeitig in die Dunkelheit verschwinden können.

Da hört er plötzlich ein Geräusch, fast unmittelbar hinter ihm. Erschrocken wendet er sich um.  Eine Gestalt ist wie aus dem Nichts aufgetaucht. Sie kann nur aus dem oberen Bereich der Brückenpfeiler heruntergesprungen sein, sonst wäre sie ihm vorher aufgefallen.  Obwohl er nicht aus dem Schatten getreten ist, drückt er sich unwillkürlich an den kalten Beton. Doch die Gestalt nimmt ihn nicht wahr. Sie wendet sich zur Hirschau und beobachtet die Szenerie jenseits der Baumgruppe.

An der Silhouette, die durch eng anliegende Kleidung betont wird, erkennt er, dass es sich um eine Frau handelt. Doch irgendetwas scheint mir ihr nicht zu stimmen. Sie humpelt, als sie sich bewegt, und ihre Jacke sieht aus, als sei der linke Ärmel an der Schulter aufgerissen. Gerade als Edward überlegt, ob er bleiben oder gehen soll, dreht sie sich abrupt um und geht. Sie kommt bis auf wenige Schritte an ihm vorbei, und er kann ein Schaudern nicht unterdrücken: Trotz der dunklen Blutflecken auf der Jacke, die von Bisswunden am Hals stammen, und der durch eine tiefe Wunde aufgerissenen Wange würde er Susanne von Wittelsbach überall erkennen.


 

Hier endet dieser Geschichtenabschnitt vorläufig, denn meine Spielgruppe ist noch nicht nennenswert weiter gekommen. Aber ich freue mich über Spekulationen meiner Leser, das passiert sein könnte und wie es weiter geht. 😉

 
 

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Eine Antwort zu “Halloween, Teil 7 (Ende)

  1. nandalya

    13. Januar 2016 at 15:51

    Nix da! Du schreibst die Story schön selbst und ich lästere … ähem … lobe dann. 😉

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